Dietrich Roeschmann, Katalogtext "COVER", 2012
„Kunst ist viel zu ernst, als dass man sie ernst nehmen dürfe.“
Ad Reinhardt im Gespräch mit Robert Morris
Es ist ein ziemlich schmaler Grat, auf dem Günther Holder balanciert. So schmal, dass man kaum sagen könnte, ob er überhaupt existiert – wäre da nicht die Sprache, die den Unterschied macht: zwischen der Fläche und dem Raum, der zweiten und der dritten Dimension, dem Bild und dem Objekt. Andererseits: Ist diese Grenze tatsächlich mehr als nur eine Behauptung? Wie sicher lässt sich definieren, wo das eine beginnt und das andere aufhört?
Gemessen am theoretischen Zuschnitt dieser Frage, die Holder umtreibt, wirken seine jüngsten Arbeiten auf den ersten Blick überraschend „stylish“. Unübersehbar locken sie schon von weitem mit starken visuellen Reizen. Alles schreit hier nach Aufmerksamkeit: die satten Farben, die organischen Formen, das schimmernde Finish. Dunkelblau oder signalrot wölben sich ihre glänzenden Oberflächen in den Raum, erinnern mal an feuchte Blutegel, die in schattigen Winkeln unter der Decke kleben, mal an polierte Karrosserieteile oder an spiegelnde Sanitärkeramik auf einer Bäderschau. Doch man muss kein Experte sein, um zu sehen, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Nicht nur, dass es diese blasenartig aus der Wand wachsenden Gebilde darauf anzulegen scheinen, die vermeintliche Harmonie ihrer Form durch kaum merkliche Abweichungen aus dem Gleichgewicht zu bringen und damit so subtil wie mutwillig ins Komische kippen zu lassen. Mehr noch irritieren die glatten Schnitte, mit denen Holder oft ein, seltener zwei Segmente seiner Objekte amputiert. Was darunter zum Vorschein kommt, ist die Maserung von massivem Holz. Spätestens hier erweist sich die coole, glamouröse Anmutung als eine Lockstofffalle, mit der seine Objekte auf Blickfang gehen, um das Auge kurz darauf in ein dichtes Netz von Verunsicherungen zwischen Material und Oberfläche, Farbe und Form, Medium und Botschaft einzuspinnen.
Unmöglich zu sagen, mit was genau wir es hier zu tun haben: Mit lackierten Skulpturen? Mit Malerei auf gewölbten Bildträgern? Mit Design-Hybriden, die aussehen wie Modellstudien für Industriebauteile, ihrer Form aber jede erwartbare Funktion verweigern?
Seit langem arbeitet der Bildhauer Günther Holder ausschließlich mit Holz. Für die Werkgruppe „Waldstücke“ etwa, die er um 2003 begann, sägte er aus Baumstämmen einzelne, rechteckige Segmente heraus, deren Oberflächen oft von Astlöchern, Faserrissen oder Wurmgängen gezeichnet waren. Sie erzählten vom Verstreichen der Zeit und von den Bedingungen, unter denen das Material wuchs – und sie erzählten von der stillen Energie, mit der sich die Verwandlung der lebenden Pflanze in den Rohstoff Holz vollzog. Ein Naturspektakel in Super-Slow-Motion, das er in einer früheren Werkgruppe bereits gezielt eingesetzt hatte. Diese monumentalen Skulpturen, die sich nicht nur einer minimalistischen Formensprache bedienten, sondern auch in ihrer schieren Größe wie eine Parodie auf den virilen Arbeitsethos der Minimal Art wirkten, waren aus frischem Holz geschlagen. Erst im Ausstellungsraum begannen sie langsam zu trocknen, bogen und spannten sich, sprangen auf. Das Holz leistete ganze Arbeit.
In seinen „Waldstücken“ markierte Holder diese Materialprozesse mit Farbe, ohne sie zu fixieren. Auf der weiß grundierten Oberfläche seiner Bildkörper trug er mit Kunstharzlack unzählige lasierte Farbschichten auf, oft in kräftigen, leuchtenden Tönen. Die unbehandelten Schnittkanten des Holzes blieben sichtbar. Sie funktionierten wie ein Scharnier zwischen Bild und Objekt und lancierten im Kontrast der Maserung mit den fein geschichteten Farbsedimenten zugleich eine Auseinandersetzung über das Verhältnis von Kunst und Natur.
Am Ende war es meist die Natur, die sich erfolgreich behaupten konnte: Die Vitalität des Holzes sprengte die Farbhaut. Je nach Feuchtigkeit der verwendeten Stämme bildeten sich an der Oberfläche feine Haarrisse oder tiefe Spalte und sabotierten so im unkontrollierbaren Mutieren der Form jeden Anspruch der Malerei auf Deutungshoheit.
In den präzise gesetzten Schnitten bei den „Segmenten“ ist dieser Prozess zum Stillstand gekommen. Die Maserung ist dabei gewissermaßen zum Bild geronnen, das zwar noch auf das verwendete Material verweist, aber nicht mehr in erster Linie von der Natur erzählt sondern von der Abwesenheit eines unbestimmten Anderen, als dessen Teil das Objekt nun mit seinen offenen Verbindungsstellen und sauber gekappten Bildflächen erscheint. Den Weg dorthin ebnete sich Holder nicht zufällig über das eigene Werk. So stand am Anfang dieser Werkphase das Recycling einzelner Teile, die er aus seinen früheren Großskulpturen heraussägte und ihre Oberflächen unter Aussparung der Schnittflächen Schicht um Schicht lackierte. Ihre offenen Enden verwiesen auf eine paradoxe Bewegung, aus der sie ihre Autonomie bezogen: Um Referenz herzustellen bedurfte es der Zerstörung des Referenten.
Noch radikaler treibt Günther Holder dieses Spiel in einer Werkgruppe aus jüngster Zeit. Die bildhauerische Grundhaltung, mit der er seine Objekte bislang aus dem Dialog von künstlerischer Bearbeitung und der natürlichen Eigendynamik des Materials entwickelte, tritt hier zugunsten eines genuin malerischen Interesses in den Hintergrund. Statt organisch geformten, aus massivem Holz gehauenen Volumen dienen ihm als Träger einfache Vierkanthölzer, auf deren glatt gehobelter Oberfläche er in strenger Symmetrie je zwei Farbfelder in meist blassen, abgetönten Kontrasten aufbringt. Auch hier bleiben die Schnittkanten unbehandelt, lassen aber die Spuren der fortschreitenden Naturentfremdung des Materials deutlich erkennen. Erstmals verwendet Holder für diese Arbeiten Brettschichtholz – einen zuverlässigen, rissfesten Industriebaustoff,dessen Risikotoleranzen per EU-Norm genau definiert sind.
So unscheinbar dieser Sprung vom Wald in den Baumarkt im ersten Moment wirken mag: Tatsächlich bedeutet er einen qualitativen Wechsel mit weitreichenden Folgen. Indem Holder seinen bildhauerischen Eingriff hier allein auf die Wahl der Länge und Stärke der verwendeten Hölzer beschränkt, verweigert er seinen Objekten jede formale Sensation und verkürzt ihre Dinghaftigkeit auf den bloßen Fakt. Mit der Naht, an der sich die beiden Farbfelder auf der Oberfläche jeweils begegnen, bekommen die für sein Werk bislang zentralen Grenzlinien zwischen Schnittfläche und bemalter Fläche zudem nun erstmals Konkurrenz von Grenzen, die allein durch Farbe definiert sind. Hard Edge tritt an die Stelle von Monochromie und rückt damit schlagartig das Malerische in den Fokus.
Die symmetrischen Kompositionen der Farbflächen, die das Holz wie ein luzider Lackfilm umschließen, öffnen dabei den Blick in einen Bildraum, der durchzogen ist von sanften Schlieren und kaum wahrnehmbaren Verunreinigungen. Hier hat sich die Malerei selbst zum Thema. Die nüchternen Vierkantformen der Objekte repräsentieren in ihrer Dinghaftigkeit dagegen allenfalls noch den Minimalkonsens, dass jede Malerei die plastische Form als Träger benötigt.
In einer weiteren Serie dieser Werkgruppe entwickelt Holder aus dem Binnenkontrast, mit dem seine Hard Egde-Malerei operiert, eine bildhauerische Rhetorik, die man im Umkehrschluss als „Soft Edge“ bezeichnen könnte. Die mit nüchternen Seriennummern betitelten Arbeiten bestehen aus je zwei monochrom lackierten Vierkantobjekten meist unterschiedlicher Länge und Stärke, die Holder an der Wand zu parallel über- oder nebeneinander hängenden Balkenpaaren anordnet. Die Farbflächen treffen hier nicht mehr in der Bildfläche aufeinander, sondern in einer unscharfen Schattenzone, die vom Raum zwischen den Objekten definiert wird. In Analogie zu den Farbnähten der einteiligen Colourfield-Objekte bildet diese schmale, präzise austarierte Fuge das eigentliche Kraftzentrum seiner zweiteiligen Arbeiten. So sehr sich diese Grenze der unmittelbaren Sichtbarkeit entzieht, so intensiv bündelt sich in ihr die Spannung zwischen den paarweise arrangierten Volumen und ihren farblich kontrastierenden Oberflächen. Die Objekte scheinen übereinander zu schwimmen, in Position gehalten allein durch die konzentrierte Energie der Wechselbeziehung, die ihren Höhepunkt im Moment der Annäherung zweier Körper erreicht, bevor sie sich berühren. In ihrer prekären Balance zwischen Bild und Objekt werden sie so auf bezwingende Weise zu Modellformen eines Problems, für das es keine gültige Lösung gibt: das eine kann immer auch das andere sein.
Dietrich Roeschmann